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Leistungswelten im Gefühlschaos

Ist deine Unternehmenskultur die letzte Bastion im Wettbewerb um die Talente? Aktuell ist es besonders wichtig und gleichzeitig besonders schwer, die Orientierung zu behalten, wenn es um die Zukunft der Arbeit im Unternehmen geht. Die einen befürchten die Wohlfühloasen als Lösung, die anderen die klare Leistungsorientierung, ohne Wenn und Aber. Der leider nur gut gemeinte Ansatz von „Work-Life-Balance“ fällt heute vielen Mittelständlern und kleinen Unternehmen glatt vor die Füße und gerät zum Vorwand für Nichtleistung, wenn nicht sogar zur Alltagsfarce.

Die Wirtschaft und vermutlich wohl auch „jeder“ Einzelne von uns lebt spätestens seit der durch die Finanzwirtschaft erzeugten Bankenkrise 2008 im anhaltenden Krisenmodus. Brauchten wenige Krisen vor diesem Datum wenigstens einige Jahre, um eine weltweite Wirkung zu entfalten oder entfalteten diese gar nicht, taumeln wir heute tatsächlich mit jährlicher Beschleunigung kritischen Ereignissen und Entwicklungen entgegen. Nun – warum sollte die Globalisierung auf Krisenursachen nicht auch umfassend wirken?

Krisenhäufung sei 2008 – Quelle: Konjunkturausblick 2023/2024

Der Konjunkturausblick 2023/2024 der KfW kommt für hiesige Verhältnisse zu der wenig überzeugenden Aussage: „Ein blaues Auge, aber kein Absturz.“ (Quelle: Konjunkturausblick 2023/2024, 08. März 2023) Das ist ein Euphemismus im Angesicht der weltweiten globalen und global zusammenhängenden Probleme.

Die vier großen „Trendfaktoren“ oder Entwicklungen:

  • Klimawandel und damit einhergehend die
  • Dekarbonisierung,
  • die Globalisierung und die
  • Digitalisierung mit dem Vormarsch von KI,

satteln auf die dauerhaften Probleme kapitalistischer und wettbewerbsorientierter Gesellschaften auf.

In vielen Bereichen haben sich zwar die Lebensverhältnisse für viele Menschen in industrialisierten Gesellschaften durchschnittlich und grundsätzlich verbessert, aber der Abstand derer, die sehr viel zu viel haben, zu denen, die sehr viel mehr zu wenig haben, ist weiterhin ein immer größer werdender Graben mit klar sozialer Sprengkraft. Und damit sind keinesfalls nur monetäre Fragen gemeint.

Das VUKA-Gespenst lässt auch auf Arbeit grüßen!

Die Flüchtigkeit klarer Orientierung im realen Alltag hat sich spürbar auch in unseren Arbeits- und Leistungswelten breit gemacht.

Die von vielen beobachtete, und unter anderen von den Organisationsberatern VUKA-Welt getaufte, Alltäglichkeit kommt mit regelmäßigen, wenn nicht täglichen Erleben folgender Qualitäten daher:

  • hohe Volatilität (Grad von Schwankungen in kurzen Zeiträumen),
  • ausgeprägte Unsicherheit,
  • hohe Komplexität und
  • prägende Ambivalenz (Widersprüchlichkeit).

Diese, unsere tägliche, Welt erfordert ein nicht unerhebliches mentales Gegenhalten, das auch mittel- und langfristig deutlich Tribut fordern wird. Die Sucht nach Sicherheit nimmt dabei überhand und wird nicht selten mit Überwachung oder gewünschter zusätzlicher Kontrolle kompensiert. Es geht hier nicht nur um Videoüberwachung und dergleichen, die Notwendigkeit Berichte zu schreiben, zu messen, zu vergleichen ob man noch auf dem richtigen Karriere- oder Produktweg ist, stellt eine genauso scheinbare Sicherheit dar.

Bedeutende Entwicklungen, die kaum aufzufallen scheinen

Geht man mit wachem Auge und geringer Gefühlsstumpfheit durchs Leben, fallen einem weitere Megatrends auf, die leider aber so gar nicht für den Mainstream taugen:

  1. ausbleibende innere Energiewende,
  2. Deintellektualisierung,
  3. Dekonstruktion des Relativen und der
  4. Verantwortlichkeitenverfall.

zu 1. Innere Energiewende bleibt aus

Der Diskussion, ob die vermehrt und anhaltend steigenden Fallzahlen psychischer Erkrankungen als Ausfallursache in Leistungsprozessen durch ein höheres Bewusstsein für diese Thematik auftauchen oder tatsächlich immer mehr werden, wird seit langem geführt. Die einen sagen man solle nicht so empfindlich sein, die anderen sprechen aus der Erfahrung einer Depression oder eines jahrelangen Burnouts oder einer chronischen Unterforderung (Boreout). Die Coronapandemie hat zusätzliche psychische Belastungsmomente aufgetan, die in erster Linie oft gar nichts mit der Arbeit zu tun haben. Wer in die Arbeitswelt als Berater oder Coach eintaucht, merkt immer wieder, die Organisationen lavieren sich regelmäßig und oft auch schnell an den Rand ihrer strukturellen und, vom Einzelnen her gesehen, persönlichen Leistungsfähigkeit. Etwas wegzulassen scheint genauso unmöglich, wie loszulassen. Den Fokus auf eine klare neue Priorisierung von Aufgaben zu setzen, kommt den Agierenden kaum in den Sinn.

Pfadabhängigkeit

Im Suchen nach Energieaufladung gelangen eben jene, der sich oft schon übermäßig Verausgabenden, auf den absurden Pfad, ihr Heil in der Optimierung „des Lebens außerhalb der Arbeit“ zu suchen, was ja als das eigentliche Leben angesehen wird. Dieser Fehlinterpretation menschlichen Daseins unterliegend, bleibt bald keine Luft mehr zum Atmen im Alltag. Dieses regelmäßig 24 Stunden und 365 Tage andauernde Etwas, das wir als Zeitstruktur des Lebens in dieser Welt sehen – praktisch das Gesamtkonstrukt Mensch – wird vehement versucht in zwei Teile zu zerlegen: der Mensch im Leistungsprozess und der Mensch im Rest seines Lebens. Nach dieser Logik haben wir mindestens zwei Leben, in denen Hochleistung gesellschaftlich gefördert und gern gesehen ist.

zu 2. Deintellektualisierung

Dabei meine ich noch nicht mal besondere geistige Höhenflüge, sondern es geht nicht selten um einfaches Berechnen oder „normal“ ausdrucksvolles Schreiben, selbst das Denken gehört aktuell kaum noch in das Reich der Arbeit, es sei den man wird dafür extra bezahlt! Der Schlachtruf des Nichtwissen(wollen)s lautet Niedrigschwelligkeit. Auch wenn wir uns dieses Instrumentes immer mehr bedienen (müssen), heißt das nicht, dass dieser gewählte Weg ohne Alternativen wäre. Die Zahl der Schulabbrecher indes steigt ohne Unterlass.

zu 3. Dekonstruktion des Relativen

Die Zahl und das Messen sind nützliche Erfindungen, daran dürfte niemand Zweifel hegen.

Aber:

Das Leben allein darauf zu beschränken, dass es zähl- und messbar wäre, ist ein Verlust ganzer Universen von Chancen- und Entwicklungsmöglichkeiten.Sven Lehmann

Daten sind das Öl im 21 Jh., um aber damit Geld verdienen zu können, müssen diese zwangsläufig neu sein, als neu angebetet werden, das Heil in einer neuen Verknüpfung oder in ihrer Erkenntniserlangung strategische Vorteile gesehen werden. Inneres Erleben oder gar Gefühle als Relevantes im Arbeitsalltag zu nutzen, grenzt fast schon an Ketzerei! Gefühle und die Qualität inneren Erlebens sind sowenig vorhersagbar, wie der genaue 10-Tage-Wetterbericht oft nutzlos ist, weil er nicht stimmt. Und das macht Angst!

Dass große Erfindungen und Dinge, die wir heute als Selbstverständlichkeit sehen, gerade durch nicht prognostizierte Zusammenhänge und Zufälle entdeckt wurden, passt nicht in den datengetriebenen Mainstream.

Wir sind aber Menschen und keine Roboter.

Seit Jahrzehnten leben Heerscharen von beratungswilligen Menschen davon, Kommunikation in Unternehmen besser zu gestalten und Kulturimpulse zur Verstetigung dieser Bemühungen zu setzen. Das strukturelle und sich steigernde Ausblenden des Menschseins, mit all seinen relativen Gegebenheiten, ist ein idealer Nährboden für diese permanente Nachfrage.

zu 4. Verantwortlichkeitenverfall

Es ist nicht neu, die Verantwortung dann und wann einmal auf andere abladen zu wollen und zu können. Heutzutage ist diese Strategie sehr gut durch die Gutachter- oder Studiensagen-X-Kultur erfolgreich institutionalisiert. Der aus der sozialen Dynamik gut bekannte Effekt, die Kraft der dritten Person, gerät zur Makulatur der Verantwortlichkeit. Antoine de Saint-Exupéry lässt den scheuen Fuchs in seinem Buch Der kleine Prinz sinngemäß sagen: Was du dir vertraut gemacht hast, verdient deine Verantwortlichkeit!
Vielleicht liegt ein Grund des gründlich missverstandenen Prinzips von „Work-Life-Balance“ darin, dass zu viel Vertrautheit mit dem Leben auf Arbeit, eine viel zu große Investition in die Verantwortung dieses Arbeitslebens zur Folge hätte. Quasi eine vorauseilende strukturelle Schutzfunktion vor Überlastung. Ein kleiner Schnitzer an dieser Stelle: Wenn man dem System mit seinen eigenen Waffen begegnet, dann sprechen zumindest die immer mehr werdenden psychischen Probleme in unserem gesamten Lebensalltag gegen den Erfolg dieser in den letzten Jahren immer stärker proklamierten Überzeugung.

Fassen wir uns doch bitte an die eigene Fachkraftnase

Die gesellschaftliche anhaltende Entwicklung vom Sein zum Prozess, man könnte auch sagen, der Hedonismus ist zum goldenen Kalb mutiert, wird von den jungen Leuten mit der Art begegnet, dass die (scheinbar) wenige Zeit, die zum (eigentlichen) Leben bleibt, sinnvoll zu nutzen sei. Es ist daher logisch, dass der Ruf nach mehr, oder überhaupt dem, Leben außerhalb von Arbeit immer lauter wird. Viele bemerken aber nicht, dass mit dem Streben nach mehr Zeit für anderes, nicht die Zeit zum Nichtstun, innerer Reflexion oder eben keinem äußeren Erleben gemeint ist, sondern diese Zeit, die außerhalb vom Leben auf Arbeit lebt, im dauerhaften Präsentationsmoduds als restliches Leben zu leisten ist. Das könnte man auch ein äußerst anstrengendes Leben nennen.

Ist (d)eine Unternehmenskultur darauf vorbereitet, Selfies in der Art „Ich am höchsten Punkt der Welt“ oder „Ich beim super gefährlichen X-, Y-, Z-Erleben“ entstehen zu lassen, und das bestenfalls täglich? Sven Lehmann

Die Frage scheint absurd, trifft aber den Kern des Arbeitsalltages. Wenn Arbeit als das lapidar stumpfsinnige Geldverdienen organisiert wird, kommt kaum jemand auf die Idee, begeistert über seinen Job anderen zu berichten! Die starken Bestrebungen, immer effizienter zu arbeiten tun an dieser Stelle ihr übriges.

X, Y- oder Z? Man kann es nicht mehr hören!

Die Klassifikation von Menschen aufgrund ihres Alters in Generationen-Kategorien sollte verboten werden! Diese Übervereinfachung, mit der Verheißung des einfacheren Führens entsprechend der Zugehörigkeit zur Generation X, Y oder sonst einem anderen Buchstaben, ist unzulässig. Wenn menschliches Verhalten immer auch situationsabhängig ist, kann eine Führungstheorie kaum auf der Spezifik der Sozialisation differenzierter Jahrgänge begründet werden. Dem scheinbaren Generationenchaos im Unternehmen oder eben im Arbeitsleben wird, wie so oft, mit plakativen Maßnahmen begegnet und so die höchst bedeutungsvolle direkte Situation, die, die gemeinsam erlebt wird, aus den Augen verloren. Hier ist komischerweise der Hedonismus ganz und gar aus dem Blickwinkel verschwunden! Es bilden sich klare Vorurteile gegenüber jungen Leuten und auch gegenüber Menschen älterer Semester, die schlicht jeglicher Grundlage entbehren.

Dem Leben nach dem Erlernen der MINT-Fächer sind Traumkarrieren vorprogrammiert, die aber immer weniger an MINT-Interessierte leben wollen! Die Nerds und Tekkies dieser Welt baden nun mal ungern im Sozialschmalz des üblichen Leistungsalltages.

Gute andauernde Leistung ist die Folge von intrinsisch motiviertem Arbeiten – nicht von Karotten- oder Luftpumpenmotivation. Die X-Y-Theorie, die die Menschen in zwei Lager von faulen und willigen Exemplaren einteilt, ist nicht aus den Köpfen der Leute im Leistungsalltag herauszubekommen. Im Gegenteil, es scheint so, als hätte sich diese Einstellung allenthalben verfestigt.

Unternehmenskultur ja gern, aber bitte an hoher Leistung orientiert

Eine Unternehmenskultur gilt doch fast nur dann als gut, wenn es eine Hochleistungskultur ist! Hier aus der Reihe zu tanzen, ist unerwünscht und hat für die Betreffenden negative Folgen. Es gilt sich auch noch einmal mehr klar zu machen, die Ziele, die Inhaber und Inhaberrinnen haben, sind nun mal nicht die Ziele aller Menschen im Unternehmen.

Es bleibt unterstreichend zu sagen: Wir sind mitnichten in einer Wissens- oder Informationsgesellschaft arbeitend, wir leben in einer Leistungsgesellschaft, die alles als Nichtleistung gesehenes „bloßes Sein“ in jeglicher Form kleinredet, wenn nicht sogar verhindern will.Sven Lehmann

Wo kommt Sinn her?

Wie wichtig ist für ein sinnvolles Leben, und auf die Beantwortung der Frage nach dem Sinn des (Arbeits-)Lebens läuft es hinaus!, eine erfüllende Tätigkeit? Ist für gute Arbeit wirklich ein zweites Leben notwendig? Ist das immer hoch gelobte und in Deutschland weit verbreitete Phänomen des Ehrenamtes ein Ausdruck nach der Suche einer von Sinn erfüllten, selbst gewählten, Tätigkeit? Es gibt Leute die sagen, ohne das Ehrenamt würde unsere Gesellschaft zusammenbrechen.

Jeder Trend erzeugt immer auch einen entgegengesetzten Trend. So tauchen vermehrt die Forderungen von Unternehmensseite auf, den Quatsch mit der Work-Life-Balance doch nun endlich ruhen zu lassen und zur umfänglichen Leistungsgesellschaft zurückzukehren, denn damit verdienen wir ja schließlich unser Geld. Wobei der Quatsch sich auf den falsch verstandenen Fokus der Teilung von Arbeit vom Rest des Lebens bezieht, nicht darauf, dass es sehr wohl einen regelmäßigen und sinnvollen Ausgleich von Belastungszeiten zu Entspannungszeiten braucht. Die Antwort vom Trend kommt sofort, die Forderung nach einer Vier-Tage-Woche bei gleichem Lohn oder Gehalt wird mit einer tollen Studie aus England untermauert.

Ernüchtert drängt sich die Frage auf: Wird die Arbeitswelt von morgen die von gestern sein?Sven Lehmann

In dieser interessanten Gemengelage bleibt ein Gefühlschaos bei denen zurück, die sich auf einfache Lösungen fokussieren und nicht dem DASEIN des ganzen Menschen in Leistungsprozessen ausreichenden Raum geben!

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Hier schreibt der Unternehmensberater, Coach und Organisationsentwickler, mit viel Lust auf Marketing und Vertrieb. Ich bin auch Vortragsredner, Workshopleiter, Supervisor, Unternehmer seit 1991, Leipzig-, Eilenburg- und Berlin-Versteher sowie deutschsprachig weit unterwegs, von Herzen Nordsachse, Optimist in den meisten Fällen, Blogger, Fotograf, Trainer, auch Ausbilder für Autogenes Training – kurz: vielleicht auch dein Entwicklungsspezialist?
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