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Die Makulatur wird dicker – Tapetenwechsel im Wohnzimmer der Unternehmenskultur

Gerade im Marketing ist der hinterlassene Eindruck, insbesondere der erste, von umsatztragender Bedeutung. Aber auch allgemein, im Alltag des modernen Menschen, erfreut sich die Kunst „Glaubhaft Dick Aufzutragen“ immer größerer Beliebtheit. Wirkt dick aufgetragene Ölfarbe auf einem Gemälde stärker als ein dünner Ölfilm? Aus der Nähe betrachtet auf jeden Fall, mit Abstand und umfassender gesehen, bleibt diese Wirkung eher gering. Die Diskrepanz zwischen gelebter und kommunizierter Unternehmenskultur ist beim Finden und Binden von Menschen im Unternehmen oder, ganz grundsätzlich, für eine Idee oder ein Produkt von ebenso existenzieller Bedeutung. Die Makulatur wird leider immer dicker, weil wir mittlerweile die Oberfläche vergöttern ist jede Form von Tiefe angsteinflößend.

Es wird darüber nachgedacht, ob das Zeigen von Gefühlen am Arbeitsplatz nun die Karriere fördert oder ihr eher hinderlich ist. Wir diskutieren, ob Führungskräfte diese zeigen dürfen oder das Zeigen von Gefühlen eben nicht zur neuen Führungskultur dazugehört. Stellenanzeigen werden schön geschrieben, wenn die Kultur im Unternehmen ihr nicht standhalten kann, sind die Bewerber der jungen Generationen ganz schnell wieder weg. Berater werden für die Optimierung von Einstellungsprozessen engagiert und die erste Frage im Bewerbungsgespräch lautet immer noch „Warum haben Sie sich gerade bei uns beworben?“.

Will man wirklich so sein, wie man ist? Auch auf Arbeit?

Viele Unternehmen suchen auch heute noch den „selbständigen Mitarbeiter“, ohne sich die Frage zu beantworten, was das genau bedeutet, wenn ein Mensch, der nicht der Inhaber eines Unternehmens ist oder vielleicht sich dort als Führungskraft verdingt, selbständig in seiner Funktion tätig wird. Ein zweiter Aspekt dieser Perspektive wäre die Frage, warum ein Bewerber oder eine Bewerberin, die selbständig arbeiten soll (so der Wunsch), sich nicht gleich selber selbständig macht?

Tapetenwechsel im Wohnzimmer der Unternehmenskultur

Es ist mindestens sinnlos, wenn nicht kontraproduktiv, eine nach außen getragene Haut gut aufzupolieren, wenn es darunter ausschaut wie Kraut und Rüben. Der klassische Tapetenwechsel ist mit den Zielmarken „New Work“, „agiles Arbeiten“ oder wie auch immer man sich begrifflich der modernen Arbeitswelt nähern möchte, absolut unzureichend. Zu Zeiten in den denen Homeoffice nicht nur salonfähig sondern notwendig geworden ist, trägt der Mitarbeiter natürlich die Unternehmenskultur auch in sein Wohnzimmer, ob er oder sie das nun möchte oder nicht.

Kultur, wie sie im Buche steht

Makulatur ist zwar schön anzusehen und schnell, auch sehr dick, hergestellt, aber Stabilität ist wirklich etwas anderes. Wenn Leitbilder bloße Makulatur bleiben, kann man sich die Erstellung eines solchen zugekleisterten Sinns sparen.

  • Wie kann es sein, dass manche Unternehmen in bestimmten Industriezweigen Kunden vorsätzlich, nachweislich nach Strich und Faden belügen und betrügen, ohne dass das wirklich ernste Auswirkungen auf diese Betrüger selbst hat? Sind starke Marken einfach nur Tapenkleister zum Anheften der oberen Umsatzzahlen? Aus dem Blick des Marketings eine interessante Frage.
  • Wie kann es sein, dass die Vermessung der Welt, die wahrscheinlich einmal mit der Zeit-, Mengen- und Längenmessung begonnen hat, heute perverse Auswüchse entwickelt hat? Und keinen stört das.
  • Wie kann es sein, dass heute mehr dem Messgerät am Arm als dem persönlichen Gefühl vertraut wird?

Wenn ein Unternehmen also sichtbar in die Welt pinselt, wir wollen die Besten sein, dann reicht das schlicht und einfach nicht aus als Leitbild! Man kann auch der beste Manipulierer oder Betrüger sein. Eine solche Kultur mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen oder der Marktposition zu begründen, macht die Makulatur nur noch brüchiger.

Genügt der schöne Schein – Geld oder Leitbildtreue?

Oder ist es etwa ausreichend, sich am schönen Schein zu vergnügen? Egal ob damit nun Geld oder ein aufpoliertes Leitbild gemeint ist, kann der (moderne) Mensch nicht so sein, wie er ist, tritt er auf der Stelle und das gerne auch im Viervierteltakt, aber er entwickelt sich nicht weiter.

Man weiß zu gut, die Menschen wollen betrogen werden. Doch dieses nicht nur, weil die Dummen in der Mehrzahl sind. Sondern weil die Menschen, zur Freude geboren, keine haben, weil sie schreien nach Freude.Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Aufbau-Verlag Berlin, 1954, Band I, Seite 471

Ernst Bloch meinte vor Jahrzehnten, dass wir Menschen zur Freude geboren sein – ich möchte ein Führungskräfteseminar sehen, in dem das Thema „Freude für alle Menschen im Unternehmen“ mehr als den Raum der Erwähnung einnimmt. Es scheint wichtiger zu sein, zu wissen, als was man eingestellt ist, als das, was man wirklich tun soll. Machen Sie sich den Spaß und fragen Sie die arbeitende Bevölkerung, was sie oder er denn nun den lieben langen Tag so machen – Sie werden mehrheitlich die Antwort in der Konstruktion von „Ich bin x oder y, ich bin Führungskraft, ich bin Soziologe, ich bin Psychologe, etc.“ bekommen, aber selten die Antwort darauf, was man wirklich tut.

Wenn die Arbeitgebermarke nur Pappmaché ist

Tapetenwechsel ist schön und gut, aber wenn die Grundkonstruktion, die Statik des Raumes, des Gebäudes oder des Unternehmens Murks oder eben schief ist, verbiegt das auch den aufrichtigsten Menschen. Je weniger Tiefe umso dicker die Makulatur. Man möchte meinen, dass der Spruch „Manch dickes Brett bohren zu müssen“ genau daher kommt! Die Anbetung des Flachen ist ein Kult der Moderne, der das Hinterfragen, nicht nur in Unternehmenskulturen, unbequem gemacht hat. Je breiter die Oberfläche, desto notwendiger der viele Kleister mit Papier. Kampf um Talente in oder für (Unternehmens-)Kulturen, die versprechen, aber nicht halten (können) ist reine Energieverschwendung. Aufschneiderei im Talentmarketing – Kulturen, die schlicht so nicht da sind, eine Show, um in der Probezeit zu gefallen, nichts weiter, wenn alle das als normal empfinden, sagt keiner was dagegen, und es entsteht eine Kultur des inneren Schweigens, die man kaum mehr durchbrechen kann …

Weitere Gedanken zum Thema Unternehmenskultur:

Hier schreibt der Unternehmensberater, Coach und Organisationsentwickler, mit viel Lust auf Marketing und Vertrieb. Ich bin auch Vortragsredner, Workshopleiter, Supervisor, Unternehmer seit 1991, Leipzig-, Eilenburg- und Berlin-Versteher sowie deutschsprachig weit unterwegs, von Herzen Nordsachse, Optimist in den meisten Fällen, Blogger, Fotograf, Trainer, auch Ausbilder für Autogenes Training – kurz: vielleicht auch dein Entwicklungsspezialist?
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